Rainer Mausfeld, Hybris und Nemesis

Ein kleiner Überblick über den Inhalt

Das neue Buch von Rainer Mausfeld erscheint am 20. 11. 2023:

Hybris und Nemesis

Wie uns die Entziviliserung von Macht in den Abgrund treibt

Einsichten aus 5000 Jahren“

 

Recht der Gleichen statt Recht der Stärkeren

So betitelt der Westend-Verlag seinen kurzen Hinweis auf den Inhalt des Buches.

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Zum Inhalt des Buches

Das Buch hat 512 Seiten. Nicht verwunderlich; denn es geht darum, einen Außenstandpunkt zu den Problemen in ihren großen Zusammenhängen zu finden, um nicht in der „Platonischen Höhle“ steckenzubleiben. Die folgende Zusammenstellung ergibt sich aus dem Inhaltsverzeichnis und zu einem kleinen Teil aus dem Kontakt mit Rainer Mausfeld. Die Zitate aus dem Inhaltsverzeichnis sind schräg gedruckt.

 

Prolog

Einführungund Überblick (S.15 bis 60)

 

Teil I: Mensch und Macht

 

1. Macht und die Beschaffenheit des Menschen (S. 61 bis 88)

(Zu diesem wesentlichen Thema hatte ich in der Einladung zum Vortrag schon kurz zusammenfassend etwas geschrieben.)

 

Teil II:Der lange Weg zur zivilisatorischen Leitidee der Demokratie

 

2. Organisationsformen der Macht und gesellschaftliche Instrumente zur Einhegung parasitärer Eliten in frühesten Gesellschaften und Zivilisationen. (S. 89)

Hier wird ein großer Bogen über Zeiten und Länder gezogen, der zeigt, wie sich Organisationsformen der Macht und gesellschaftliche Mittel der Machtbegrenzung entwickelten (z. B. in Mesopotamien und Ägypten) und wie solche Mittel allerdings auch als Instrumente einerMachtstabilisierung missbraucht wurden. In diesem Zusammenhang steht auch die Entstehung des Staates als Instrument der Machtstabilisierung und der Verhinderung von Gegenmacht. Der Diskurs über Freiheit und über Gerechtigkeit wurde schon früh in der Zivilisationsgeschichte von den Herrschenden usurpiert.

 

3. Erfindung derDemokratie im Athen der Antike, einschließlich Kritik. (S. 169)

Der universell anwendbare Grundgedanke der athenischen Demokratie und die Demokratiekonzeption der Aufklärung werden in Beziehung gesetzt.

Frage: Warum entstand die zivilisatorische Leitidee der Demokratie gerade bei den Griechen? (Für mich sehr interessant, dass laut Mausfeld das auch mit der Beschaffenheit der griechischen Sprache zu tun hat.)

 

Auch den Gedanken des Florentiners Niccolò Machiavelli ist ein Kapitel gewidmet:

4.„Machiavellische Demokratie“ : Elitenherrschaft

in Verbindung mit robusten radikaldemokratischen Kontrollinstrumenten. (S. 239)

 

Hierzu ein Machiavelli-Zitat: „Das Verlangen der Eliten nach Macht und Besitz ist so gewaltig, dass es ein Gemeinwesen bald zum Untergang führt, wenn es nicht durch verschiedene Mittel und Wege abgewehrt wird.“

 

Teil III: Die Entgrenzung und Entzivilisierung von Macht inkapitalistischen Demokratien

 

5. „Demokratie“ - Der wohl größte Wortbetrug der Geschichte

Über die Zerstörung einer zivilisatorischen Leididee (S. 255)

Wortbetrug I: Die Erfindung der „repräsentativen Demokratie“ als Mittel der Demokratieverhinderung

Warum Demokratie und Kapitalismus miteinander unverträglich sind

Wortbetrug II: Die Erfindung der „Elitendemokratie“

In diesem Abschnitt werden die Gedanken von Le Bon, Ortega y Gasset, Gaetano Mosca,

Vilfredo Pareto, Robert Michels, Walter Lippmann und Joseph Schumpeter verarbeitet.

Wortbetrug III: Die Erfindung der „output-orientierten Demokratie“

Wie Macht als Realität verkleidet und damit unsichtbar gemacht wird

 

Warum eine kapitalistische Demokratie auf Bewusstseinskontrolle angewiesen ist,

Dass heute der Diskurs über Wahrheit und Lüge, über Wahrnehmung und Interpretation gesellschaftlicher Realitäten von der herrschenden Ideologie usurpiert ist, nennt Mausfeld eine „Meisterleistung der Bewusstseinskotrolle“ und einen der Schwerpunkte des Buches.

Dazu nur ein paar Stichworte: die Rolle von Massenmedien, Sozialwissenschaften, Psychologie; Angsterzeugung als Herrschaftstechnik; keine psychologisch freien Wahlen

Weitere Themen (u. a.):

Die Entgrenzung von Staatsmacht und Kapitalmacht mit dem Instrument des Rechts

Die Entgrenzung und Entzivilisierung von Macht als Ausdruck eines Übergangs zu autoritären Herrschaftsformen

 

6. Über den Wortbetrug der „liberalen Mitte“ und über den Neoliberalismus als Extremform einer anti-demokratischen Entzivilisierung von Macht (S. 383)

 

7. Die Transformation kapitalistischer Demokratien in Formen autoritärer und totalitärer Herrschaft.

Sheldon Wolin über „gelenkte Demokratie“ und eine neuartige Form des Totalitarismus (S. 413)

 

Epilog – Demokratie oder zivilisatorischer Abgrund (S. 457)

Dazu ein Zitat von Thomas Hobbes: Hell is truth seen too late.

 

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Milosz Matuschek schrieb am 30. 10. 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung:

Mausfeld ist ein Volksaufklärer in der Denktradition Humboldts, Deweys und Chomskys, der minuziös dechiffriert, was sonst viele Bürger nur als Grundgefühl hegen:

Etwas ist hier faul.“

Irmgard Laaf, 27. Oktober 2023

 

 

Das Ende des Wirtschaftswachstums

Die ökonomischen und sozialen Folgen mangelnder Ethik und Moral

Vor Kurzem ist das neue Buch des Wirtschaftswissenschaftlers

Prof. Dr. Christian Kreiß (Hochschule Aalen) erschienen:

Das Ende des Wirtschaftswachstums -

Die ökonomischen und sozialen Folgen mangelnder Ethik und Moral“

 

Wer nur den Haupttitel liest, sagt vielleicht kopfnickend: Ja, ja, es geht bergab. Wer aber auch den Untertitel liest, wird neugierig; denn dass sich ein Ökonom eingehend mit dem Thema Ethik und Moral in der Wirtschaft befasst, ist nicht selbstverständlich.

Der Autor beschreibt allgemeinverständlich anhand einer Vielzahl von Beispielen die rücksichtslosen Machenschaften in einer inhumanen, materialistischen, korrupten, von Konzernen beherrschten Wirtschaftswelt. Die katastrophalen Folgen sind nicht mehr zu übersehen: die fortschreitende Ungleichverteilung von Gütern, das Sinken des Bildungsniveaus, die Abhängigkeit der Wissenschaft, der Forschung und der Medien von Geldgebern mit Eigeninteressen, die massive Zunahme von Zivilisationskrankheiten und vieles andere. Überall gilt das geflügelte Wort, das Cicero mehrfach in seinen Gerichtsreden zitierte: „Cui bono?“ (= Wer profitiert?) Die Schädigung des einen bringt eben dem anderen Gewinn. Christian Kreiß lässt unter diesem Gesichtspunkt keinen Bereich unbeachtet.

Zu den not-wendigen Bedingungen für eine gesunde Wirtschaft, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, zählt der Autor vor allem ethisch-moralische Standards und ein entsprechend intaktes Rechtswesen. Ohne ethisch-moralische Standards wird es weitergehen mit Gifteinsatz in der Landwirtschaft, mit Kundenbetrug durch geplanten Verschleiß und Werbung für überflüssige und schädliche Produkte usw. usf. Ohne solche Standards werden weiterhin Arme noch ärmer gemacht, wird die Kriminalität weiterhin steigen und damit auch die Zahl der Arbeitsplätze für unproduktive Tätigkeiten wie Kontrolle, Überwachung und Bürokratie usw. usf.

Die Geschichte sollte eigentlich schon gelehrt haben, dass es ohne ein Grundmaß an Ethik und Moral kulturell, zivilisatorisch und wirtschaftlich weiterhin bergab gehen wird. Ja, sollte … - Darum dieses Buch.

Es ist unbedingt zu empfehlen. Irmgard Laaf, September 2023

 

 

„Bildung oder Anpassung?

Wege zu einer Schule mit Sinn“

-Notizen zu dem Vortrag des Kunstpädagogen Prof. Dr. Jochen Krautz (Uni Wuppertal) am 4. September 2023 im Saal Heinrichstraße, 28203 Bremen,

veranstaltet von ROLAND-Regional Bildung und Wissen e.V.

Im ersten Teil des Vortrags ging es um die Bildungsmisere als Folge von 25 Jahren Bildungsreform, von der OECD in Gang gebracht. (Die Organisation for Economic Cooperation and Development ist eine zwischenstaatliche Organisation, die durch Steuergelder der Mitgliedsländer finanziert wird. Deutschland gehört zu den Gründungsmitgliedern.)

Das Bildungsverständnis der OECD steht in krassem Gegensatz zum humanistischen Bildungsverständnis, wie es z. B. in der Bremer Landesverfassung formuliert ist. Das wurde mit offiziellen Zitaten aus OECD-Texten belegt. Für die OECD gehört das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft und steht gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken*. Individuelle Fähigkeiten werden als eine Form des Kapitals angesehen, als einen Produktionsfaktor, der wie “ein Spinnrad oder eine Getreidemühle einen Ertrag bringen kann“**. (Quellen s. u.)

Und so zielt die von den Vertretern der OECD-Mitgliedsstaaten vereinbarte Bildungsplanung eindeutig auf Anpassung des Bildungswesens an die Ökonomie und den technologischen Fortschritt - auf entpersonalisiertes Lernen.

Als Beispiele entpersonalisierten, „selbstgesteuerten“ Lernens dienten drei aussagekräftige Fotos:

  1. Ein Sprachlabor der 1970er Jahre. (Ich habe es damals als Lehrerin zweimal auspro-biert - und dann: „weg damit“. Bald hat es auch sonst kein Kollege mehr benutzt.)

  2. Ein sogenanntes Lernbüro (2010er Jahre), in dem jedes Kind allein lernen musste; denn jeder Platz war – ähnlich wie im Sprachlabor - durch Bretter als Sichtschutz von den anderen Plätzen abgegrenzt. Das bedeutet Isolierung und, auf Dauer, Auflösung der Klassengemeinschaft.

  3. Tablet-Klasse der 2020er Jahre. Ein weites Feld... (S. u. ,„Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht“)

Massive reale pädagogische Probleme blieben und bleiben dabei ungelöst.

Schule wie eine „Maschine“, das Gelernte ein „Produkt“, Lehrer nur noch „Lernbegleiter“, die Schülerschaft ein „Humankapital“! Auch im Bremer „Orientierungsrahmen Schulqualität“ werden technologiebezogene Begriffe wie „Input“ und „Output“, „interne und externe Evaluation“ verwendet.

Dementsprechend sieht die OECD-Strategie zentrale Steuerung durch Leistungsmessungen mit vorgegebenen Normen vor. Das zeigte sich deutlich an den PISA-Vergleichstests mit kompetenzorienten Standards. U. a. mit solchen Tests nahm und nimmt die OECD Einfluss auf das Verhalten souveräner Staaten. Letztlich läuft es auf Entmachtung der Länder und der Schulen hinaus.

Im Kontrast zu der beschriebenen Misere stand der zweite Teil des Vortrags. Anhand von Bildern ganz anderer Art wies der Referent ausführlich und eindrucksvoll auf die Grundlagen einer humanen Schule hin:

Zeigen und Nachahmen, Herausfordern und Unterstützen durch den Lehrer, Üben, Einsetzen von Kopf, Herz und Hand (u. a. im Werkunterricht); Klassenunterricht, pädagogische Liebe, pädagogisches Verstehen, Liebe des Lehrers zu seinem Fach; mitmenschliche Bindung.

Denn wie könnte die Schule ohne diese Grundlagen es den Schülern ermöglichen, kritisches Denken zu lernen, mündig und verantwortungsbewusst zu werden und Mitmensch zu sein? - als Voraussetzung für eine Demokratie, die ihren Namen verdient.

Von Schülern nachgemalte (nicht kopierte) Gemälde aus der Renaissance bewiesen, wie intensiv sich die Nachmaler mit dem Original und dessen Ausdruck und Bedeutung beschäftigt haben müssen und wie individuell deshalb auch die Ergebnisse ausfielen. Alles andere als quantitativ messbar...

Vielen Dank an Jochen Krautz für diesen informativen und beeindruckenden Vortrag!

Irmgard Laaf, September 2023

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Beispiele von Veröffentlichungen von Jochen Krautz:

- Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie, 2011

- Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht (eine Schrift der deutsch-österreichisch-schweizerischen Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., deren Präsident Jochen Krautz ist), 2020

- Bilder von Bildung, 2022

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Quellen der mit * bzw. ** gekennzeichneten Aussagen zur OECD

* Brian Keeley, Humankapital. Wie Wissen unser Leben bestimmt. OECD Insights 2007, S. 31- 32

** Kulturkomission des Europarates (Hrsg.), Wirtschaftswachstum und Bildungsaufwand, Wien 1966 (Dokumentation einer Tagung der OECD von 1961 in Washington), S. 40