Michael Kopatz, Wirtschaftsförderung 4.0, Zukunftschancen durch kooperative Wirtschaftsformen
Eine Zusammenfassung
Am 16. März 2021 hielt Michael Kopatz diesen Vortrag im Rahmen der Winterreihe des AWWB (Aktionsbündnis Wachstumswende Bremen), den Umständen entsprechend natürlich online. Er ordnete die Wirtschaftsförderung in ein Verständnis von Wirtschaft ein und benannte dann Handlungsfelder, in denen er konkrete Maßnahmen betrachtete. In vielen Formulierungen sprach er die Wirtschaftsförderung der Kommunen an. (An einigen Stellen dieser Zusammenfassung merkt man, dass er sich auf Folien seiner Präsentation bezog)
Wie geht man mit dem Wachstumsphänomen z.B. angesichts des Klimaschutzes um? Was sind für Städte und Gemeinden Bereiche, die wachsen können? Welche Bereiche sind z.B. sehr krisenfest und nur begrenzt abhängig vom Wachstum? Diese Dinge muss man ermitteln und ertüchtigen.
Dahinter steht: Was ist wirtschaften? Die Lehrbücher verstehen darunter die Steigerung der Lebensqualität und alles, was es den Menschen gut gehen lässt. Kopatz verweist darauf, dass sich die Menschen heute im Vergleich zu 1984 viermal so viele Dinge leisten können, glücklicher sind sie aber nicht geworden.
Hinzu kommt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur wirtschaftliche Leistungen misst, die bezahlt wurden. Steigt die Zahl der Unfälle, steigt das BIP. 50% der wirtschaftlichen Leistung, alles, was getauscht wird, Nachbarschaftshilfe, die Sorgearbeit, alle Arbeit in den Familien, obwohl sehr wichtig für die Bereitstellung der menschlichen Arbeitskraft, wird nicht erfasst.
Die bisherige Wirtschaftsförderung knüpft an dem herkömmlichen Begriff von Wirtschaft an. Wirtschaftsförderung im überwiegend landläufigen Sinne ist Unternehmensförderung. Es müssen vor allem Flächen günstig zur Verfügung gestellt werden, damit möglichst große Unternehmen sich ansiedeln. Wenn man aber tatsächlich Wirtschaftsförderung betreibt, kann man dieses Instrument sehr effektiv nutzen. Und hier bietet Wirtschaftsförderung 4.0 (Wf 4.0) einige Strategien. Wir brauchen eine ganzheitliche Wirtschaftsförderung.
Das Besondere an dem Ansatz ist, dass Kopatz konkrete Felder beschreibt und sie nach Beispielen untersucht. Wenn er dann in einer Stadt seinen Vorschlag vorstellt und die Bürgermeisterin feststellt, das haben wir doch alles schon, dann ist seine Antwort: Ja, aber ihr steht daneben und schaut zu. Ihr fragt nicht: Was können wir für euch tun, damit es (noch) besser läuft? Wo seid ihr (Kommunen) aktiv, um diese Ansätze zu fördern und kreativ zu gestalten? Diese Tätigkeiten müssen eine Wertschätzung erfahren, sie müssen unterstützt werden in ihrem Aufbau und sie müssen unterstützt werden auf ihrem Weg zu einer zunehmenden Professionalisierung. Die Rendite muss in der Region bleiben. Daneben gibt es andere Bereiche, die direkt in der Zuständigkeit der öffentlichen Hand liegen wie der Verkehr z.B.
Der Vortrag fokussierte auf fünf Geschäftsfeldern im oben beschriebenen Sinne:
- Sharing Economy
- Sozialunternehmen
- Finanzwirtschaft
- Local Business
- Produktion
Ad 1: Sharing Economy
In Osnabrück (OS) startete Car Sharing durch einen privaten Verein. Die Mitgliederzahl stagnierte bei 120. Das Ehrenamt konnte keine weitere Entwicklung schaffen. Erst als die Stadtwerke einstiegen mit Marketing und betrieblicher Organisation, stieg die Mitgliederzahl rasant auf über 4000 an. Das Stichwort hier ist Professionalisierung! Außerdem gilt der Grundsatz, dass die Rendite an die Region gebunden wird.
Ad 2: Sozialunternehmen
Social Business findet in der Wirtschaftsförderung überhaupt keine Beachtung. Dabei gibt es in den Werkstätten, der Caritas oder den Krankenhäusern so viele Arbeitsplätze, die aber nicht wahrgenommen werden. In Herford gibt es eine Recycling Börse mit 120 Beschäftigten und Beschäftigungsförderung. Es gibt sehr viele Beispiele dieser Art, die dann aber einmalig sind. Alles was so klein und „niedlich“ ist, kann man groß und bekannt machen.
Kleine Läden, die der Nahversorgung dienen, geben auf, auch weil es keinen Nachfolger gibt. Eine Aufgabe der Wirtschaftsförderung wäre es Strukturen aufrecht zu erhalten!
Kopatz versteht Repaircafés als Geschäfte. Die Menschen in den Städten wissen nicht, wo sie sind, wann sie geöffnet haben und die Läden brauchen eine bessere Lage. Es geht um Professionalisierung, längere Öffnungszeiten. Dafür braucht es einen Treiber, einen Motor, der das macht. In OS ist das Elektrohandwerk aufmerksam geworden. Repaircafés sind für junge Leute attraktiv. Es gibt Kooperativen mit Schulen, um hier junge Leute in die klassische Wirtschaftsqualifikation zu ziehen.
Ad 3: Finanzwirtschaft
Er nennt zwei Beispiele, Regionalwert AG und ein Gutscheinsystem.
Bei der Regionalwert AG werden Anwohner*innen zu Aktionären eines Hofes oder von Betrieben. Dass es hierbei in der Regel um Biolandbau geht, findet er nicht wesentlich.
Ein Unternehmen in OS hatte in dem Beginn der Corona-Krise wenig Probleme. Ostern 2020 wollten sie ihren Mitarbeitern 200 € geben, wenn die in OS ausgegeben würden. In der Folge bekam das Unternehmen eine Unmenge von Kassenbons. Sinnvoller wäre ein kommunaler Gutschein gewesen, professionell gemanagt, und das nicht nur für wenige Tage. Solch ein System kann man subventionieren. Wichtig ist die Akzeptanz in den Geschäften.
Ad 4: Local Business
Grundsätzlich geht es um alle kleinen Geschäfte, die unprofessionell arbeiten. Die Wirtschaftsförderung könnte fragen: Was brauchst du? Es gibt in OS einen Werkzeugladen. (Eisenwaren). Die Menschen müssen motiviert werden, dort einzukaufen. Wenn sie es nämlich nicht tun, ist das das Ende der Vielfalt. Und Vitalität und Vielfalt ist eine zentrale Frage unserer Innenstädte.
„Horst“ folgt in dem Zusammenhang der Idee, dass 80% der Waren eines Baumarkts nicht viel Platz bedürfen. Dieses Unternehmen will wieder mit einem Minibaumarkt in das Stadtzentrum.
Es geht um einen Second Hand Laden, bei dem die Wirtschaftsförderung dafür sorgen kann, dass solche Läden ein Lokal finden. Und dann einer der wichtigen Sätze: Und das sind Dinge, die eine Stadt besonders machen.
Es geht um Regionalvermarktung von Produkten, Ökokisten, Aufbau einer Internetplattform, die die Anbieter übernehmen können, „Wochenmarkt 24“. Ich kann bestellen und kriege es auch noch vor die Tür gebracht. Solche Internetplattformen gibt es in vielen Städten noch gar nicht oder sie sind eben gerade erst im Entstehen. Das sollte man nicht Lieferdiensten großen Stils überlassen gemäß dem Motto: Die Rendite in der Region halten! Solche Plattformen sollten genossenschaftlich betrieben werden.
Nahversorgung ist ganz maßgeblich, um die Wirtschaft zu stärken. Und das nicht als eine kleine Aktion für 2 oder 3 Tage im Jahr. Solche Kampagnen müssten das ganze Jahr laufen, zusammen mit einem Gutscheinsystem und anderen Maßnahmen. Die Einzelhändler müssen zusammengebracht werden. Von alleine tun sie das nicht.
Ein weiteres Beispiel ist Preston im UK. Die Ansiedlung eines riesigen Einkaufszentrums in der Stadtmitte hatte sich nach der Finanzkrise zerschlagen. Man besann sich auf andere Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung: Die Kommune und Ankerinstitutionen wie Diakonie, Krankenhäuser und andere begannen sich soweit es ging lokal und regional zu versorgen. Das hat der Wirtschaft in Preston enorm und das messbar gut getan.
Diese ganzen Maßnahmen sind auch ein Konzept zur Förderung der Gemeinwohlökonomie. Er sieht in dem Zusammenhang nicht das Aufstellen von Bilanzen im Vordergrund, bilanzieren kann man vieles. Die Grundidee ist, dass das Ziel des Wirtschaftens selbst gemeinwohlorientiert und nicht renditefixiert sein kann.
Eine Kommune kann eine strategische Bodenpolitik betreiben, indem sie selbst die Grundstücke aufkauft und dann mit der Überlassung Einfluss auf die Ausrichtung nehmen kann. Sie haben es dann in der Hand, was auf diesen Flächen passiert.
Richtete sich die Plattform noch überwiegend an den Lebensmittelhandel, kann man darüber hinausgehen und fragen: Was hat unsere Stadt, unsere Region sonst noch zu bieten. Das ist weitgehend unbekannt und will kommuniziert sein, z.B. mit Hilfe von Pop Up Stores. Das sind Aktionen, durch die auch die Händler sich in neuer Form kennenlernen und ihre Zusammenarbeit ausdehnen können. Wichtig in diesem Zusammenhang, es braucht jemanden, der das anschiebt, den Impuls setzt.
Verkehr: Einzelhändler fordern immer wieder, dass die Erreichbarkeit der Stadt gewährleistet sein muss. Wenn man die Erreichbarkeit der Stadt verdoppeln will, dann geht das nicht mit dem Auto. Die Straßen sind voll. Man kann aber das „Gefäß“, mit dem die Menschen in die Stadt kommen, vergrößern. Werden mit einem Auto zwei Menschen transportiert, können es bei einem Reisebus bereits 32 und mit einer Straßenbahn 71 sein bei gleicher Verkehrsfläche. Die Überlegungen waren vielfältig. Es ging um die Wertschätzung für Radfahrer und Fußgänger, die Attraktivität des ÖPNV und die Erkenntnis eines Einzelhändlers, der sofort befürwortete, die Parkplätze vor seinem Laden in Aufenthaltsfläche und Fahrradabstellanlagen umzuwandeln. Kunden von ihm würden dort nie parken. Die Plätze würden von Anwohnern oder Menschen mit anderem Ziel genutzt. In der Konsequenz fordert Kopatz einen Straßenbaustop.
Noch zwei Gedanken zur Logistik: Wenn Kommunen große Gewerbeflächen für große Logistikunternehmen ausweisen, „kanibalisieren“ sie ihre Händler. Und in Osnabrück haben sich Händler zu einer Citylogistik zusammengeschlossen. Die Zulieferung wird gebündelt und erfolgt gemeinsam mit „diesen kleinen Wägelchen“, andererseits bieten die Händler die Lieferung der gekauften Ware nach Hause an.
Ad 5: Produktion
„Bremen kann auch Lasagne“. An der Produktion einer normalen Tiefkühllasagne sind 20 Staaten beteiligt. Dabei kann man solch eine Lasagne sehr gut in lokaler Produktion herstellen. Die Verlängerung der Wertschöpfungsketten hängt mit der kostengünstigsten Produktion zusammen. Für die Kunden hat sich mit den langen Wegen nichts verbessert, außer, dass die Produkte superbillig sind. Wie schaffe ich es, diese Kapazitäten vor Ort zu stärken. Man muss die Kapazitäten erst erkennen, damit man sie stärken kann.
SoLaWi: Im Grunde handelt es sich bei der Solidarischen Landwirtschaft um ein Derivat. Der Landwirt verkauft zu Beginn des Jahres seine Ernte an Teilhaber. Und die Teilhaber*innen, das ist dann die Solidarität, gehen mit ins Risiko aber haben auch den Benefit, wenn die Ernte sehr gut ausfällt. Dieses Prinzip ist aber viel zu klein und unbedeutend. Es geht um eine Professionalisierung. Idealer Weise wird direkt vor die Tür geliefert. Dabei muss SoLaWi gar nicht bio sein. Aber die Idee, dass der Bauer nicht nur eine Sorte anbaut sondern verschiedene Produkte und die lokal vertreibt, dass ist die geniale Idee.
Direktvermarktung allgemein ist höchst attraktiv. Fischer bekommen im Großhandel in Kiel 1,50 € je Kilo, bei den Konsumentinnen 5 €. Für die Direktvermarktung und für die SoLaWi braucht man einen Motor, eine Antreiberin, die das initiiert.
Wenn ein Nike-Turnschuh bei erbärmlichen Arbeitsbedingungen und jeder Menge Einsatz von Chemikalien genau soviel kostet wie ein Waldvierteler, der zu 100 % in Österreich zu fairen Bedingungen produziert wird, so wird daran der Renditeanspruch bei Nike und deren Aufwand für Marketing deutlich, andererseits aber vor allem auch wie groß die Potentiale für regionale Produktion sind. Das entscheidende ist, dass die Menschen diese Dinge auch kaufen oder dass diese Dinge bekannt werden.
Hier ist Wirtschaftsförderung gefragt, Unterstützung bei der Existenzgründung, bei der Gründung einer Genossenschaft. Nicht nur Digitalisierung ist hip, aber auch. Wenn Initiativen größer werden wollen, dann brauchen sie Unterstützung.
Alles das, was beim Thema Digitalisierung relevant ist, ist auch höchst relevant für die Wf 4.0, wie schon gezeigt.
Co-Working macht das Landleben wieder attraktiv, eine Strategie, die jetzt gerade wieder populärer wird. Dieses Co-Working-Space muss ja nicht in der Innenstadt sein.
Fazit: Was sind die Vorzüge von 4.0
Grundsätzlich geht es darum, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten auch in der klassischen Wirtschaft, was hier vor allem Händler, Handwerker und Produzenten sind.
Gegenargumente sind oft: zu teuer, dafür haben wir kein Personal. Kopatz nennt den Vergleich von Essen und Dortmund als Beispiel. In Essen sind 30, in Dortmund 90 Menschen in der Wirtschaftsförderung beschäftigt. Es kommt auf die Richtung an, die die Kommunen verfolgen, eine Frage der Prioritäten. Es geht um einen Standortvorteil. Da, wo Menschen kooperieren, wo gegenseitige Hilfe ist, wo Sharing funktioniert, wo einfach viele Initiativen sich engagieren, da haben vor allem junge Leute das Gefühl hier geht was, hier passiert was, hier sind die Menschen unterwegs. Wenn das gefördert wird, lassen sich hier auch topqualifizierte Leute nieder.
Und diese Strategie ist auch wichtig im Kampf gegen Nationalismus. Nationalisten predigen das Gegeneinander, die Abschottung gegen Migranten usw. Die Wf 4.0 macht genau das Gegenteil. Wir fördern Gemeinschaft, sozialen Zusammenhalt, Begegnung und Kooperation. AfD Wähler sind nicht selten Menschen, die das Gefühl haben, sie haben einen schlechten Schnitt gemacht in unserer Gesellschaft oder sie sind nicht gut eingebunden in das Gemeinwesen. Strategien, die dazu beitragen, dass Menschen wieder ein Heimatgefühl bekommen, dass sie sich mit ihrer Region, mit ihrer Stadt wieder identifizieren, das ist ein Beitrag dafür, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Darum geht es, dass die Menschen sich gut aufgehoben fühlen.