Postwachstumsökonomie – Anleitung zur Produktivitätsverweigerung

Prof. Dr. Niko Paech ist Professor an der Universität Siegen an der Forschungsstelle Plurale Ökonomik. Plurale Ökonomik untersucht wirtschaftliche Phänomene mit vielen unterschiedlichen Ansätzen und verschiedenen Denkweisen. Als Professor an der Universität Oldenburg initiierte er u. a. zahlreiche Veranstaltungen zu dem von ihm geprägten Begriff Postwachstumsökonomie. Diese „Ringvorlesung“ übte eine starke Wirkung in der Region aus. Ein reales, funktionierendes Beispiel für Postwachstumsökonomie ist das Oldenburger RessourcenZentrum sowie der ReparaturRat Oldenburg.

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Nun zum Vortragstitel „Postwachstumsökonomie – eine Anleitung zur Produktivitätsverweigerung“.

Wie? Die Produktivität verweigern?? Der provokante Titel wird verständlich, wenn wir uns bewusst machen, dass die Produktivität seit Beginn der Industrialisierung fortgesetzt gesteigert wurde und dass die katastrophalen Folgen des Wachstums alarmierend und heute nicht mehr zu übersehen sind.

Höhere Arbeitsproduktivität (und damit mehr Wohlstand) beruht auf technischem Fortschritt, d. h. auf Mechanisierung, Elektrifizierung, Automatisierung und digitaler Vernetzung.

  • Der erste mechanische Webstuhl entstand 1784.
  • Das Fließband wurde erstmalig 1870 eingesetzt.
  • Speicherbare programmierbare Steuerung gibt es seit 1969.
  • Vernetzung ermöglicht „Industrie 4.0“ mit „Künstlicher Intelligenz“, „Internet der Dinge“, Robotik, 3D-Druck, erweiterten Sensortechnologien.

Gesteigerte Produktivität bringt die Erhöhung der Arbeitslosenzahl mit sich. Daraus ergibt sich der Zwang zum fortgesetzten Wachstum, und dies ist ohne Raubbau, d. h. ohne die begrenzten Ressourcen zu plündern, nicht möglich. Es kann kein „grünes“ Wachstum geben. Die ökologischen Grenzen zwingen zu Reduktion, also zu einer Postwachstumsökonomie.

Für gewaltige Energieverschwendung durch globalisierte Ökonomie nehmen wir als Beispiel ein Hemd aus Baumwolle, für das die Produktion in spezialisierte Einzelvorgänge zerlegt, automatisiert und geographisch dahin verlegt wird, wo die betriebswirtschaftlichen Kosten am niedrigsten sind. Das heißt konkret:

Die Baumwolle, in Afrika geerntet, wird in China gesponnen, in Südkorea gewebt, auf den Philippinen gewaschen, gebleicht und gefärbt, in Honduras geschnitten und genäht, in den USA etikettiert, in Großbritannien mit Knöpfen versehen, in Deutschland verkauft, später vielleicht in Afrika auf einem Altkleidermarkt noch einmal verkauft.

Durch solche globalisierte Ökonomie pflanzen sich auch Störereignisse weltweit ungehindert fort.

Postwachstumsökonomie = plünderungsfreie Ökonomie

Erforderlich sind

Suffizienz:

  • Entrümpelung, Entschleunigung, Vermeiden von Reizüberflutung
  • Das bedeutet: Ballast abwerfen zwecks psychischer Entlastung und damit Förderung der Lebensqualität. Reduktion ist Selbstschutz!
  • „All you need is less“ (Titel eines Buches, das Niko Paech mit einem Co-Autor verfasste).
  • Suffizienz bedeutet Entlastung. Suffizienz bedeutet nicht Verzicht; denn man kann nicht auf etwas verzichten, das zu haben man nie ein Recht hatte.

Subsistenz:

  • Eigenproduktion (Lebensmittel, Handwerk u.a.),
  • Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten durch Reparatur,
  • Gemeinschaftsnutzung,
  • Leistungstausch in sozialen Netzen, gemeinnützige Arbeit.
  • Es geht um Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung.
  • (Selbstversorgung ist nicht „mittelalterlich“, sondern vernünftig.)

Regionale Ökonomie:

  • De-globalisierte Wertschöpfungskette,
  • regionale Komplementärwährungen,
  • Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) = Verbindung zwischen Verbrauchern und lokalen Landwirten mit Abnahmegarantie der Produkte.

Arbeitsteilung:

  • 40 Stunden Arbeitszeit werden aufgeteilt in

          20 Stunden zum Geldverdienen und

          20 Stunden im entkommerzialisierten Bereich

Ein einschneidendes Beispiel für den notwendig anderen Umgang mit Energie im Postwachstumszeitalter ist die Mobilität.

Viele Menschen können sich vermutlich nicht vorstellen, dass es weniger Flughäfen geben wird, Kreuzfahrten abgeschafft werden und Autos kleiner sein und dass Sonntage und Innenstädte autofrei werden müssen. An Carsharing und Lastenfahrradverleih hat man sich vielleicht schon ein bisschen gewöhnt, aber daran, dass man Kaffee mit dem Segelschiff transportiert, wohl noch nicht.

Postwachstumsökonomie wird zweifellos zu mehr Sesshaftigkeit führen. Sesshaftigkeit im Sinne guter Lebensqualität bedeutet, dass die nähere Umgebung attraktiv ist, dass dort sinnvolle Aktivitäten gefördert werden, dass man sich dort auch erholen kann und nicht den Urlaub unbedingt in der Ferne genießen möchte. „Glück ohne Kerosin“.

Suffizienz, Subsistenz, regionaler Ökonomie und Arbeitsteilung im Sinne der Postwachstumsökonomie führen zu „Daseinsmächtigkeit“. Das bedeutet, die Ansprüche genügsam an das anzupassen, was sich mit eigenen Fähigkeiten und aus nahe gelegenen Ressourcen machen lässt. Die „Glücksforschung“ bewies eindeutig, dass das einzigartige Wirtschaftswachstum in den letzten 50 Jahren keine Zunahme der Lebenszufriedenheit mit sich brachte. (Stattdessen stieg die Zahl der Verschreibungen von Antidepressiva.)

Zitat aus einem Vortrag von Niko Paech in der VHS Oldenburg, 2019:

„Wenn der Einzelhandel, das Handwerk und andere innovative Firmen Oldenburg zu einer Reparaturwerkstatt werden lassen, kann die lokale Wirtschaft der Internetkonkurrenz trotzen … Die Wirtschaft der Zukunft fängt vor der eigenen Haustür an.“

Das geht auch in Bremen und umzu.


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