„Bildung oder Anpassung? - Wege zu einer Schule mit Sinn“

Im ersten Teil des Vortrags ging es um die Bildungsmisere als Folge von 25 Jahren Bildungsreform, von der OECD in Gang gebracht. (Die Organisation for Economic Cooperation and Development ist eine zwischenstaatliche Organisation, die durch Steuergelder der Mitgliedsländer finanziert wird. Deutschland gehört zu den Gründungsmitgliedern.)

Das Bildungsverständnis der OECD steht in krassem Gegensatz zum humanistischen Bildungsverständnis, wie es z. B. in der Bremer Landesverfassung formuliert ist. Das wurde mit offiziellen Zitaten aus OECD-Texten belegt. Für die OECD gehört das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft und steht gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken*. Individuelle Fähigkeiten werden als eine Form des Kapitals angesehen, als einen Produktionsfaktor, der wie “ein Spinnrad oder eine Getreidemühle einen Ertrag bringen kann“**. (Quellen s. u.)

Und so zielt die von den Vertretern der OECD-Mitgliedsstaaten vereinbarte Bildungsplanung eindeutig auf Anpassung des Bildungswesens an die Ökonomie und den technologischen Fortschritt - auf entpersonalisiertes Lernen.

Als Beispiele entpersonalisierten, „selbstgesteuerten“ Lernens dienten drei aussagekräftige Fotos:

  1. Ein Sprachlabor der 1970er Jahre. (Ich habe es damals als Lehrerin zweimal auspro-biert - und dann: „weg damit“. Bald hat es auch sonst kein Kollege mehr benutzt.)

  2. Ein sogenanntes Lernbüro (2010er Jahre), in dem jedes Kind allein lernen musste; denn jeder Platz war – ähnlich wie im Sprachlabor - durch Bretter als Sichtschutz von den anderen Plätzen abgegrenzt. Das bedeutet Isolierung und, auf Dauer, Auflösung der Klassengemeinschaft.

  3. Tablet-Klasse der 2020er Jahre. Ein weites Feld... (S. u. ,„Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht“)

Massive reale pädagogische Probleme blieben und bleiben dabei ungelöst.

Schule wie eine „Maschine“, das Gelernte ein „Produkt“, Lehrer nur noch „Lernbegleiter“, die Schülerschaft ein „Humankapital“! Auch im Bremer „Orientierungsrahmen Schulqualität“ werden technologiebezogene Begriffe wie „Input“ und „Output“, „interne und externe Evaluation“ verwendet.

Dementsprechend sieht die OECD-Strategie zentrale Steuerung durch Leistungsmessungen mit vorgegebenen Normen vor. Das zeigte sich deutlich an den PISA-Vergleichstests mit kompetenzorienten Standards. U. a. mit solchen Tests nahm und nimmt die OECD Einfluss auf das Verhalten souveräner Staaten. Letztlich läuft es auf Entmachtung der Länder und der Schulen hinaus.

Im Kontrast zu der beschriebenen Misere stand der zweite Teil des Vortrags. Anhand von Bildern ganz anderer Art wies der Referent ausführlich und eindrucksvoll auf die Grundlagen einer humanen Schule hin:

Zeigen und Nachahmen, Herausfordern und Unterstützen durch den Lehrer, Üben, Einsetzen von Kopf, Herz und Hand (u. a. im Werkunterricht); Klassenunterricht, pädagogische Liebe, pädagogisches Verstehen, Liebe des Lehrers zu seinem Fach; mitmenschliche Bindung.

Denn wie könnte die Schule ohne diese Grundlagen es den Schülern ermöglichen, kritisches Denken zu lernen, mündig und verantwortungsbewusst zu werden und Mitmensch zu sein? - als Voraussetzung für eine Demokratie, die ihren Namen verdient.

Von Schülern nachgemalte (nicht kopierte) Gemälde aus der Renaissance bewiesen, wie intensiv sich die Nachmaler mit dem Original und dessen Ausdruck und Bedeutung beschäftigt haben müssen und wie individuell deshalb auch die Ergebnisse ausfielen. Alles andere als quantitativ messbar...

Vielen Dank an Jochen Krautz für diesen informativen und beeindruckenden Vortrag!

Irmgard Laaf, September 2023

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Beispiele von Veröffentlichungen von Jochen Krautz:

- Ware Bildung. Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie, 2011

- Digitalisierung als Gegenstand und Medium von Unterricht (eine Schrift der deutsch-österreichisch-schweizerischen Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., deren PräsidentJochen Krautz ist), 2020

- Bilder von Bildung, 2022

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Quellen der mit * bzw. ** gekennzeichneten Aussagen zur OECD

* Brian Keeley, Humankapital. Wie Wissen unser Leben bestimmt. OECD Insights 2007, S. 31- 32

** Kulturkomission des Europarates (Hrsg.), Wirtschaftswachstum und Bildungsaufwand, Wien 1966 (Dokumentation einer Tagung der OECD von 1961 in Washington), S. 40

 

 


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