Rechtliche Beurteilung
INSTITUT FÜR SOZIALE ÖKOLOGIE
Manfred Steinbach, 34385 Bad Karlshafen, Triftweg 12, Tel: 05672 - 922909
Der ROLAND-Gutschein - eine (verfassungs-)rechtliche Beurteilung
Es bestehen in Deutschland weder verfassungsrechtliche noch andere gesetzliche Bedenken gegen das Recht von gemeinwesenorientierten Gruppen, ihr eigenes Geld zu vereinbaren und zu benutzen. Im Gegenteil: Regionale und lokale Geldsysteme wie der ROLAND-Gutschein sind aufgrund ihres vertragsfreiheitlichen Rechtsgeschäftes verfassungsrechtlich höher zu bewerten als gesetzliche Zahlungsmittel.
1. Bisher wurde vielfach behauptet und veröffentlicht, dass die folgenden gesetzlichen Bestimmungen dem Herausgeben eigenen Geldes entgegenstehen sollen:
1.1 Artikel 14 des Bundesbankgesetzes: “Die Deutsche Bundesbank hat ... das ausschließliche Recht, Banknoten ... auszugeben. Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.”
1.2 Artikel 35 des Bundesbankgesetzes: “Mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft,
- wer unbefugt Geldzeichen (Marken, Münzen, Scheine oder andere Urkunden, die geeignet sind, im Zahlungsverkehr an Stelle der gesetzlich zugelassenen Münzen oder Banknoten verwendet zu werden) ... ausgibt,
- wer unbefugt ausgegebene Gegenstände der in Nummer 1 genannten Art zu Zahlungen verwendet.”
1.3 Artikel 106 des Vertrages von Amsterdam (1997): “Die EZB hat das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten ... zu genehmigen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind zur Ausgabe von Banknoten berechtigt. Die von der EZB und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Gemeinschaft als gesetzliches Zahlungsmittel gelten. Die Mitgliedstaaten haben das Recht zur Ausgabe von Münzen.”
1.4 Artikel 16 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB), der sich inhaltlich auf den in Nummer 1.3 erwähnten Artikel 106 des Amsterdamer Vertrages bezieht.
1.5 §146 des Strafgesetzbuches: “Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer Geld in der Absicht nachmacht, dass es als echt in den Verkehr gebracht oder dass ein solches Inverkehrbringen ermöglicht werde...”
2. Als erste Entgegnung auf die oben stehende Behauptung, dass es somit rechtlich nicht zulässig sein soll, eigenes Geld herauszugeben, mus auf den “Rechtskommentar Hahn” zu § 35 des Bundesbankgesetzes hingewiesen werden. Hiernach wird “die Ausgabe von Scheinen, die nur beim Einkauf in bestimmten Geschäften in Zahlung gegeben werden können, selbst dann nicht von §35 des Bundesbankgesetzes erfasst ... , wenn darauf ein bestimmter Betrag angegeben wird. Das gilt auch für Geldersatz (Wertzeichen, Urkunden), die diese Funktion nur für einen räumlich und personell unbedeutenden und abgegrenzten Bereich haben.”
Diese Voraussetzung für die Ausnahme vom § 35 des Bundesbankgesetzes erfüllt der ROLAND. Der im “ROLAND-Gutscheinring” benutzte Schein im Werte von 5 ROLAND kann nur in bestimmten Geschäften “in Zahlung” gegeben werden, nämlich nur in denjenigen, die ebenfalls dem Gutscheinring angehören; in allen anderen Geschäften nicht.
Weiterhin gilt der ROLAND auch nur für einen räumlich und personell unbedeutenden und abgegrenzten Bereich (Mitglieder aus Bremen, Ottersberg, Fischerhude, Quelkhorn, Sottrum, Worpswede, Oldendorf, Delmenhorst und Martfeld im “abgegrenzten” ROLAND- Gutscheinring).
3. Wer nun eventuell äußern will, dass der “Kommentar Hahn” nicht mehr als eben nur ein Kommentar sei und es vielleicht noch andere Kommentare mit entgegengesetztem Inhalt gebe, dem kann mit einem zweiten Punkt entgegnet werden.
Bernard Lietaer, ehemaliger belgischer Zentralbanker, erwähnt in seinem Buch “Das Geld der Zukunft”, dass die Europäische Kommission selbst an der Finanzierung von 4 regionalen Komplementär- Währungsprojekten beteiligt ist, zusammen “Barataria”- Projekte genannt:
- das schottische ländliche elektronische Buchgeldsystem SOCS,
- das irische ländliche Gutscheinsystem ROMA im Raum Connacht (an diesem Projekt ist auch Richard Douthwaite, einer der beiden Autoren des Buches “Jenseits der Globalisierung “ Handbuch für ein lokales Wirtschaften”, beteiligt),
- das niederländische elektronische Buchgeldsystem AMSTELNET in Amsterdam,
- das spanische elektronische Buchgeldsystem BICS in Vallecas in der Nähe von Madrid, organisiert von dem gemeinnützigen LA KALLE (Projekt “3. Sector”).
Würde die EU-Kommission Geldprojekte finanziell unterstützen, die sie selbst als für rechtlich nicht zulässig betrachtet?
4. Der rechtlich entscheidende Punkt, eigenes Geld zu benutzen, soll nun als dritte Entgegnung beschrieben werden.
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, beginnt inhaltlich mit dem Grundrechte- Katalog, der nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (31,73) “den Kern der freiheitlich- demokratischen Ordnung” bildet. Diese Grundrechte binden gemäß Artikel 1 (3) GG Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung als “unmittelbar geltendes Recht”, sie sollen sozusagen als Schranken und Richtlinien der Staatstätigkeit die Verfassungswirklichkeit und damit das gemeinwesenbezogene Leben der Bürger prägen. Eines dieser Grundrechte der Bürger “das Hauptfreiheitsrecht“ steht in Artikel 2 Abs. 1 GG:
“Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, sofern er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.”
“Dieses Grundrecht bringt die in der Menschenwürde enthaltene Komponente der freien Entfaltung des Menschen zum Ausdruck und führt insoweit die Freiheitlichkeit als Leitprinzip in die Verfassungsordnung ein” (Hamann/Lenz). Die allgemeine Handlungsfreiheit ist gemäß Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (1,273; 6,36, 74,151) umfassender Ausdruck der persönlichen Freiheitssphäre und zugleich Ausgangspunkt aller subjektiven Abwehrrechte des Bürgers gegen Eingriffe des Staates.
Was hat das alles nun mit der rechtlichen Möglichkeit, eigenes Geld zu vereinbaren und zu benutzen, zu tun?
Sehr viel! Denn nach entsprechenden Entscheidungen wiederum des höchsten bundesrepublikanischen Gerichts (8, 328; 89, 61: 95, 303 ff) zählt zu dem Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch die Vertragsfreiheit. Selbstverständlich in den Schranken: Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz.
Vertragsfreiheit! Kennzeichnend für das Geld-, Kredit- und Währungswesen ist zwar die staatliche, öffentlich- rechtliche Ordnung dieses zentralen Wirtschaftssektors, aber beim Benutzen von Geld (Kauf, Leihen, Schenken) sowie bei der Gewährung von Krediten werden zwischen den beteiligten Menschen Verträge abgeschlossen (auch dann, wenn ich meine Brötchen beim Bäcker einkaufe, schließe ich mit dem Bäcker rechtlich einen Kaufvertrag ab, dessen Willenserklärungen: “ich möchte haben und zahle / ich biete an und gebe“ auch in mündlicher Form und durch den Austausch Geld/Ware ein Rechtsgeschäft zustande gebracht haben). Und diese Verträge sind nicht öffentlich-rechtlicher, sondern zivilrechtlicher Grundlage. Deshalb sind die rechtlichen Bestimmungen über Kauf, Vertrag, Leihe, Tausch, Darlehen, Pacht und vieles mehr “ auch das gesamte Zinswesen! “ in der sog. “Verfassung des Zivilrechts”, dem Bürgerlichen Gesetzbuch, geregelt.
Welche Pflichten bestehen nun z.B. bei einem Kauf? Nach § 433 BGB wird “durch den Kaufvertrag ... der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen ... Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.” Das sind die Pflichten. Inhalt des Kaufvertrages ist demnach, auch den Kaufpreis zu vereinbaren. Das geschieht überwiegend durch stillschweigende Akzeptanz des Käufers über den ausgeschilderten Preis oder durch einen Handel über den Preis der Ware. Unter Umständen ist der Preis auch “Null”, wenn der Verkäufer die Sache beim Verhandeln mit dem Käufer letztlich verschenkt. Bei der Ausübung ihrer Rechte, den Kaufpreis zu vereinbaren, bekommt nun auch das Grundrecht der Vertragsfreiheit seine Bedeutung. Nämlich Verkäufer und Käufer können als Kaufpreis auch “1 Sack Kartoffeln” vereinbaren. Es ist jedenfalls überhaupt nicht gesetzlich vorgeschrieben, dass der Kaufpreis mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel “ - dem Euro - zu zahlen ist (§ 244 BGB lässt sogar die Zahlung in ausländischer Währung zu, also z.B. in Rubel, Yen oder Lei). Das kann auch nicht vorgeschrieben sein, denn die Zahlung des Kaufpreises ist gemäß § 433 BGB in die Vertrags- und Vereinbarungsfreiheit der Beteiligten gestellt! Und somit können z.B. die Brötchen mit dem bezahlt werden, was Verkäufer und Käufer selbst als Zahlungsmittel vereinbaren, z. B. mit dem nicht gesetzlichen Zahlungsmittel ROLAND! Dies ist auch abzuleiten z. B. aus dem § 364 BGB: Das Schuldverhältnis (z.B. Zahlung des Kaufpreises) erlischt, wenn der Gläubiger (z. B. der Verkäufer) eine andere Sache als die geschuldete Leistung (z. B. ROLAND anstelle von Euro) an Erfüllung Statt annimmt!
Haben die Beteiligten bei ihrer Vereinbarung, z. B. ROLAND als Zahlungsmittel und nicht das gesetzliche zu benutzen, gegen die Rechte anderer, gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen? Eindeutig: Nein. Im Gegenteil: Aus dem oben Dargestellten ergibt sich, dass die verfassungsmäßige Ordnung den Bürgern die Freiheit gibt, als Zahlungsmittel dasjenige zu benutzen, was zwischen Verkäufer und Käufer vereinbart wird “ und erst dann, wenn sie dabei ihre Kreativität nicht haben walten lassen (wollen), wenn sie nichts Spezielles vereinbart haben, erst dann können sie auch das Angebot des Gesetzgebers annehmen und stillschweigend vereinbaren: Der Kaufpreis soll in Euro bezahlt werden! Ausfluss des Grundrechts auf Vertragsfreiheit ist - und jetzt wird es ganz deutlich: Das gesetzliche Zahlungsmittel kann nachrangig benutzt werden! Durchaus in dem Sinne von dem Wortlaut des § 246 BGB (Gesetzlicher Zinssatz): “Ist eine Schuld nach Gesetz oder Rechtsgeschäft zu verzinsen, so sind vier vom Hundert für das Jahr zu entrichten, sofern nicht ein anderes bestimmt ist”!
Ergo: Das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die gestalterische Freiheit der zivilrechtlichen Verträge beinhaltet, ist Grundlage für gemeinwesenorientierte Gruppen, ihr eigenes Geld zu vereinbaren und zu benutzen. Und: Gemäß Artikel 1 (3) GG bindet dieses Grundrecht die Gesetzgebung, die Regierung und Verwaltung sowie die Rechtsprechung unmittelbar, d. h. Gesetze, die den vertraglichen Zahlungsverkehr regeln, müssen das Recht auf die inhaltliche Gestaltungsfreiheit von Verträgen beachten.
5. Zum § 146 des Strafgesetzbuches ist zu sagen: Mit der Herausgabe des ROLAND- Gutscheins wird Geld nicht nachgemacht, sondern ganz anderes und neues in den Umlauf gebracht. Und in diesem Sinne und im Sinne des oben Gesagten bedeutet das auch: Wer den ROLAND- Gutschein nachmacht oder fälscht, macht sich gemäß § 146 des Strafgesetzbuches strafbar. Denn im Gegensatz zu den Gesetzen, die in den Nummern 1.1 bis 1.4 genannt sind, spricht der § 146 StGB nicht vom “gesetzlichen Zahlungsmittel”, sondern allgemein von ”Geld”.
6. Als letzte Entgegnung soll hingewiesen werden auf den ROLAND-Gutschein und auf den Gutscheinring als soziales Kunstwerk und als soziale Plastik. Hierbei wird von einem “ Erweiterten Kunstbegriff” ausgegangen, wie ihn Joseph Beuys entwickelt und wie ihn das Bundesverfassungsgericht definiert hat.
Beuys entwickelt den Erweiterten Kunstbegriff, indem er sichtbar macht, dass jeder Mensch mit seinen in ihm selbst vorhandenen schöpferischen Fähigkeiten und mit seiner Gestaltungsfreiheit ein (potentieller) Künstler ist, der z. B. bis zu den Arbeitsplätzen hin und bis in das Gesetzgebungsverfahren hinein zusammen mit anderen Menschen (Künstlern) seine Lebensordnung selbst gestalten kann bzw. heute muss. Beuys kommt dabei zu der Kernaussage:
KUNST = KREATIVITÄT = KAPITAL.
Hier wird ein ganz anderer Kapitalbegriff gedacht, als der, den wir gewohnt sind, über den es wert und notwendig ist, nachgedacht zu werden, nämlich: Das eigentliche Kapital der Menschen sind ihre schöpferischen Fähigkeiten, die sich frei verbinden können mit den Fähigkeiten anderer Menschen.
Das Bundesverfassungsgericht hat “ unabhängig von Beuys“ in mehreren Entscheidungen diesen Erweiterten Kunstbegriff wie folgt definiert:
“Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden.
Der Kunstbegriff ist nicht auf die klassischen Gegenstände (Malerei, Bildhauerei, Musik, Dichtkunst) beschränkt. In Anbetracht der Tendenz in der Kunst, starre Formen und Konventionen zu überwinden, kann nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen.
Das folgt auch daraus, dass eine wertende Einengung des Begriffs “Kunst” mit der umfassenden Freiheitsgarantie des Artikels 5 (3) GG (“Kunst ist frei”) nicht zu vereinbaren ist.
Die umfassend und vorbehaltlos garantierte Kunstfreiheit betrifft nicht nur die künstlerische Betätigung selbst, sondern auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks.
Damit enthält Artikel 5 (3) GG ein Freiheitsrecht für alle Kunstschaffenden und alle an der Darbietung und Verbreitung von Kunstwerken Beteiligten, das sie vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt in den künstlerischen Bereich schützt. Auch die Werbung für ein Kunstwerk ist mit geschützt.
Aus Sinn und Zweck der Kunstfreiheitsgarantie ergibt sich für die staatliche Gewalt das Verbot, auf Methode, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken, insbesondere den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen oder allgemein verbindliche Regeln für diesen Schaffensprozess vorzuschreiben.
Kunst mit auch eindeutiger politischer Absicht unterliegt der grundrechtlichen Gewährleistung nach Artikel 5 (3) GG. Treffen Kunst und Meinungsäußerungen zusammen (sog. Engagierte Kunst), bleibt Artikel 5 Abs. 3 die maßgebliche Norm. ”Entscheidungen aus: 30, 188 ff; 83, 138; 67, 224 ff; 81, 305; 77, 251; 75, 377.
Dieses in Artikel 5 (3) GG verankerte umfassend garantierte Recht der Kunstfreiheit als subjektives Freiheitsrecht verbietet es somit der staatlichen Gewalt, in die gestalterischen Freiheitsrechte der Menschen, die innerhalb des Gutscheinrings den aus ihren eigenen schöpferischen und künstlerischen Gestaltungskräften entwickelten ROLAND benutzen, einzugreifen!
7. Schlussendlich rufen wir alle Menschen auf, sich dem ROLAND-Gutscheinring regional anzuschließen oder ihr eigenes gemeinwesenbezogenes Geldsystem zu entwickeln, sofern sie darin einen berechtigten Sinn sehen bzw. dies als in der gegenwärtigen und zukünftigen Zeit für schlicht notwendig erachten.
Bremen, 03. Oktober 2002
Manfred Steinbach
Das Institut für Soziale Ökologie versteht sich als eine freie Forschungsstätte mit der Aufgabe, soziale Fragen und Lösungsversuche zum Zeitgeschehen auf der Grundlage des Allgemein-Menschlichen zu bedenken und zu erörtern.